Menü

Die Realgemeinde Hammenstedt und das Schützenwesen

Vom letzten „Schüttenhoff‘ in Hammenstedt 1896

Die Hammenstedter Schulchronik berichtet vom Schützenfest ganz knapp: „Ein Volksfest ist hier das Schützenfest, welches nicht jährlich, sondern alle 12 bis 15 Jahre einmal gefeiert wird. Es beginnt am Donnerstag nach Pfingsten und dauert 5 Tage. Der Festplatz ist der Anger unterhalb der Landstraße.“

Ich gebe nun im Folgenden eine ausführliche Beschreibung des letzten Schützenfestes, das vom 28. Mai bis l. Juni 1896 nach althergebrachtem Brauch gefeiert wurde. Ich verdanke meine Aufzeichnungen zwei Hammenstedtern: dem Zimmermann Ahrens und dem Gastwirt Keune. Beide nahmen am letzten „Schüttenhoff“ teil; der eine als Verheirateter und der andere als Junggeselle. An mehreren Abenden, gemeinsam am „Runden Tisch“ sitzend, gingen sie gern auf meine Fragen ein. Wie ergänzten sich beide in ihren Erinnerungen!

Das Schützenfest wurde stets von der Realgemeinde veranstaltet. Die gesamte Einwohnerschaft feierte die Festtage mit; nur die Schulkinder waren Zuschauer und durften auch an den Umzügen nicht teilnehmen. Die Nachbargemeinden erhielten keine Einladung; doch waren Besucher aus dem nahen Northeim und aus den umliegenden Dörfern gern gesehene Gäste, da sie Eintrittsgeld, im Jahre 1896 30 Pfennig je Person, zu entrichten hatten.

Die Junggesellen Hammenstedts beantragten die Abhaltung des „Schüttenhowes“ beim Bauermeister am Osterfeste, wenn „Musik“ war. Mit voller Kapelle ging es zum Bauermeister. Dieser rief zu einer öffentlichen Gemeindeversammlung auf, zu der sich alle stimmberechtigten Mitglieder der Realgemeinde einstellten. Pünktlich zur festgesetzten Zeit erschien der Bürgermeister und betrat den noch heute erhaltenen „Thiestein“ unter der alten Thielinde. Mit lauter Stimme rief nun der Bauermeister den Versammelten zu:

„Dei jungen Keerls wüllt in düssem Johr Schüttenhoff hebben. Wer von jöck davor is, recke dei Hand upp!“

Dass dieser Antrag einstimmig angenommen wurde, war vorauszusehen, denn seit dem letzten Schützenfest waren bereits 10 bis 15 Jahre verstrichen. Nun ging’s sofort an die Vorbereitungen. Die „Alten“ und die „Jungen“ wählten auf ihren Versammlungen im Dorfkruge ihre Offiziere. Gewählt konnte nur werden, wer bereits seiner Militärpflicht genügt hatte. Ein älterer, würdiger Dorfeinwohner wurde als General bestellt; er hatte den Oberbefehl über das gesamte Offizierkorps und über die Mannschaften. Alle erwiesen ihm volle Hochachtung durch Gruß und unbedingten Gehorsam. Danach fand bei den Alten die Wahl eines Hauptmanns, eines Schützenleutnants, eines Leutnants als Zugführer, eines Feldwebels, eines Doktors und eines „Scheibenkuckers“ statt.

Die Junggesellen hatten als obersten Offizier einen Oberst; sonst wurden dieselben Dienstgrade wie bei den Alten gewählt. Auch die „Pickeniere“ (Pioniere) – etwa 10 bis 12 für jeden Zug – fanden ihre Bestätigung. Auf beiden Versammlungen kam auch die Uniformfrage aufs „Tapeet“. Der Herr General, die Hauptleute, die Leutnante, die Zugführer und Feldwebel trugen Uniformen mit Epauletten, eine Schärpe mit Quasten und einen langen Säbel. Als Kopfbedeckung diente ein Dreimaster. Die beiden „Doktors“ hatten ohne Schärpe und Säbel zu erscheinen; Als Zeichen eines Doktors hatten sie einen hölzernen Kasten, der die nötigsten Verbandstoffe enthielt, und an einem umgeschnallten Koppel hing die Labeflasche. Natürlich fehlte auch der Dreimaster nicht. Die Junggesellen trugen die verschiedensten Soldatenuniformen. Da sah man Artilleristen und Infanteristen, Pioniere und Husaren; auch der Train war vertreten. Auf dem Kopfe der Beteiligten saßen blitzende Helme der betreffenden Waffengattung.

Die Junggesellen kamen an den Sonntagen bis zum Fest unter den Befehl des Zugführers im „Roen“ (eine Feldmarksbezeichnung) zusammen, um hier zu exerzieren und zu schießen. In den Tagen vor dem Festbeginn lud sich jeder Junggeselle sein „Schüttenhowesmäken“ ein. Der Gemeindediener hatte an den Vortagen trommelnd sämtliche Dorfbewohner geladen, denn der Festveranstalter und Träger war ja nur die Realgemeinde. Als Festplatz diente der Anger nördlich der Landstraße Northeim/ Katlenburg. Mit frischem Buchen- und Eichengrün war er von den Junggesellen überreich geschmückt. Pferde und Wagen zum Büscheholen stellten kostenlos einige Bauern, die ihre Leute zum Hacken des Grüns und zum Beladen der Wagen mitschickten. Es war für die Bauern eine besondere Ehre, zum Gelingen des Festes mit beigetragen zu haben. Nun konnte endlich nach den Wochen der vielen Vorbereitungen das Fest beginnen.

Der Mittwochabend war der sogenannte „Polterobend“. Die Alten feierten im Altermannszelt, und die Jugend versammelte sich im Junggesellenzelt; es wurde feste einer „geböhrt“.

Am Donnerstagmorgen pünktlich um 8 Uhr wurde auf dem Festplatz angetreten. Jeder, auch der jüngste Teilnehmer, hatte ein geputztes Gewehr zu tragen. Zwei Kapellen waren zur Stelle. Hinter jeder Kapelle ordnete sich der Zug der Alten und Jungen. Die Marschordnung war genau festgelegt. Vor der Musikkapelle der Alten schritt würdevoll der Herr General (Ackermann Wilhelm Harborth); ihm folgte der Schützenleutnant (Ackermann Adolf Paare im Bruchtore) mit dem l. Schützenzug, der 12 Mann stark war, und die Pioniere. Der Bestemann trug seine Fahne. Im vorgeschriebenen Abstand marschierte nun der l. Zug, dem der Hauptmann (Ackermann Christian Kassebeer) voranschritt. Es folgte die Fähnrichsfahne, und den Schluss bildete der 2. Zug, der von dem Mühlenbesitzer Christel Paul geführt wurde. Die Alten waren in Gehrock und Zylinder erschienen. In derselben Ordnung marschierten auch die Junggesellen. Hinter der Kapelle schritt würdevoll der Herr Oberst (Eisenbahner Adolf Biermann bei der Schule), Hauptmann war der Ackermann Heinrich Cornehl am Bache. Für die Aufstellung des gesamten Zuges war der Feldwebel verantwortlich. Er verlas die Namen aller Angetretenen, was eine geraume Zeit dauerte, waren doch etwa 130 bis 150 Mann versammelt. Nun meldete er in strammer Haltung dem Herrn General die Gesamtstärke

Im Anschluss daran wurden die vier Fahnen, die beiden Bestemannsfahnen und die beiden Fähnrichsfahnen, von den früheren ausgezeichneten Schützen abgeholt. Es folgen hier die Namen jener Männer, die auf dem letzten Schützenfest die Fahnen errangen. Der Bestemann der Alten war Holzhändler Adolf Kiel, der Kuchen, Schinken und Bier spendierte, Bauer Adolf Paare war Fähnrich. Die Junggesellen zogen vor das Haus des Zimmermanns Christian Kahle in der Landwehr, um ihre Bestemannsfahne abzuholen. Auch hier wurde wie bei den Alten ein kräftiger Imbiss gereicht. Dann ging es zum Bruchtor, wo bei dem Chausseewärter Friedrich Hungerland die Fähnrichsfahne aufbewahrt worden war. Jetzt marschierten die beiden Züge getrennt durch sämtliche Dorfstraßen. Es darf nicht vergessen werden, dass von den Alten auch die „Honoratschoren“, der Bauermeister, die beiden Lehrer und der Pastor, abgeholt wurden, denen man je zur Stärkung ein Brötchen mit Sardinen, Bier und eine Zigarre reichte. Bei jedem Festzug kam es mehrmals zu einer Stockung. Frauen und Mädchen hatten hier und da die Straßen durch Ernteleitern, Wagen, Karren, Walzen und Eggen gesperrt. Diese Hindernisse mussten erst beseitigt werden. Der Schützenzug gab zwei Salven ab, und der Befehl kam: „Pickeniere vor!“ Sofort nahmen diese ihre Arbeit auf und machten „Bahn“. Die Pioniere, es waren Maurer, Tischler und Zimmerleute, hatten eine weiße Lederschürze vor, und in der Rechten trugen sie geschultert eine Axt oder einen eisernen Winkel, mit einem Blumensträußchen geschmückt. Ein schwarzer Anzug oder besser noch ein Gehrock war die Kleidung; ein Zylinder saß auf dem Kopfe. Beide Marschkolonnen, die ja getrennt durchs Dorf marschiert waren, trafen sich am Bruchtor, da also, wo heute die Luthereiche steht, und unter „deftiger“ Marschmusik ging es den Schießständen am Stühberg zu, wo drei Scheiben aufgestellt waren:

Eine für die Alten, die zweite für die Junggesellen und die dritte galt als Freischeibe, die den anderen Dorfbewohnern und den Festbesuchern zur Verfügung stand. Gegen Entrichtung eines „Satzgeldes“ konnte man drei Schuss abfeuern. 1896 kostete ein Satz 30 Pfennig. Die Schützen durften nur einen Satz abgeben, während man auf die Freischeibe beliebig oft einen Satz erstehen konnte. Das eingenommene Satzgeld ergab dann die Geldpreise für die besten Schützen der einzelnen Scheiben. Das Schießen zog sich bis zum Mittag hin. Eine Trinkgelegenheit fand sich vor dem Bruchtore, hier waren Tische mit den nötigen Bänken unter freiem Himmel aufgestellt. Übermütige Freude und Fröhlichkeit herrschten bis zur Mittagspause, während die Kapellen abwechselnd lustige Weisen spielten. War das Schießen zu Ende, formierten sich die Züge, und unter Vorantritt der beiden Kapellen strebte man dem Festplatz zu. Die Fahnen und Gewehre fanden hier in besonders hergerichteten Ständen Aufstellung, bewacht von einem Junggesellen, der nach zwei Stunden abgelöst wurde. Nach dem Kommando „Tretet weg!“ lösten sich beide Züge auf und begaben sich bis 2 Uhr zum Mittagessen. Die „Schüttenhowesjungens“ nahmen während der ganzen Tage die einzelnen Mahlzeiten bei ihren „Schüttenhowesmäkens“ ein. Wer wollte und es sich leisten konnte, ließ sich mit seiner Dame zu den Mahlzeiten durch einen Trommler oder einen Pfeifer bringen; ganze „heile fufzig Pennige“ kostete jedes mal der Spaß. Von 2 Uhr ab spielten die Kapellen in beiden Zelten zum Tanz auf.

Aber bis jetzt haben wir wenig von den beiden Feldwebeln gehört. Sie waren immer im Dienst und darauf bedacht, möglichst viel „Strafgeld“ einzutreiben. Das dicke Strafbuch, das bereits auf früheren „Schüttenhowen“ seinen Dienst getan hatte und vorn im Uniformrock steckte, war ständig in Bewegung. Schon beim Antreten zum Umzug hagelte es nur so mit Strafen. Da war ein Gewehr nicht sauber genug, hier wieder war der Anzug nicht in Ordnung. Wer beim Kommando: „Stillgestanden“ auch nur mit der Wimper zuckte und wer nicht im Gleichschritt marschierte oder wer die Tagesordnung nicht genau beachtete, hatte je nach Schwere des Vergehens sofort 30 bis 50 Pfennig zu zahlen, das war für die damalige Zeit viel Geld. Die Unpünktlichen beim Antreten meldeten sich beim General, der den Bummelanten dann vom Feldwebel aufschreiben ließ. 50 Pfennige waren wieder fällig. Selbst der Herr General blieb von Strafe nicht verschont, er hatte für ein falsches Kommando 8 Mark zu blechen, auch das kam natürlich vor.

In der Dämmerung wurden die Fahnen unter Musik wieder in die einzelnen Häuser gebracht. War das geschehen und waren die beiden großen Züge auf dem Festplatz aufgelöst, trug jeder sein Gewehr nach Hause. Hier zog man sich um, und nachdem man ordentlich gevespert hatte, eilte man zum Tanz in die einzelnen Zelte.

Und nun der Freitag! Punkt 8 Uhr war „Antreten“ wie am Donnerstag, und danach wurden wieder unter Vorantritt der Kapellen die Fahnen zum Festplatz gebracht. Jetzt kam der Höhepunkt des Tages, ja des Festes überhaupt, nämlich das Bestemannsschießen. Auf die Bestemannsfahne mit ihren 12 Ringen konnten nur Realgemeindemitglieder ihre 3 Schuss abgeben. Wer den besten Schuss tat, war der Bestemann, er erhielt die Bestemannsfahne und das „Kleinod“ von seinem Vorgänger überreicht. Dem zweitbesten Schützen wurde die Fähnrichsfahne zugesprochen. Auch auf dem Stande der Junggesellen wurde nach der Zwölfringscheibe geschossen. Alle Junggesellen kamen zum Schuss. Die beiden besten Schützen nahmen die Bestemannsfahne bzw. die Fähnrichsfahne sofort von den früher Ausgezeichneten entgegen. Der Bestemann der Alten war damals der Bauer Christian Fahrtmann und der Fähnrich Heinrich Wolter bei der Molkerei. Als Bestemann bei den Junggesellen galt der Bäcker Wilhelm Gräven und als Fähnrich Hermann Paul. Nun herrschte aber Hochbetrieb in den Häusern der Bestemänner. Die Frauen, unterstützt von Nachbarinnen, hatten gleich Kuchen zu backen, denn am Abend nach dem Einbringen der Fahnen wurde allen Teilnehmern der einzelnen Züge reichlich frischer Kuchen, Schinken und Bier gereicht. Die beiden Fähnriche standen nicht nach. Es gab hier außer Schinken und Bier noch Zigarren, Kuchen fiel also fort.

Am Sonnabendmorgen war wieder „Antreten“ ohne Gewehr, der Tag galt als dienstfrei. Aber dieses Mal traten die beiden „Doktors“ in Tätigkeit, denn sämtliche Junggesellen, die noch kein Schützenfest mitgemacht hatten, mussten sich zu einer festgesetzten Zeit auf dem Festplatz zum Rasieren einstellen. Auch die Herren Feldwebel fehlten nicht, um Unpünktliche mit einer Geldstrafe zu belegen. Auf einem bereitgestellten Stuhl hatten die „Jungens“ Platz zu nehmen; ein großes, weißes Laken war der „Latz“. Als Seife diente ein Kieselstein, mit dem der Betreffende von dem Doktor feste eingeseift wurde. Ohne Schmerzen ging diese Prozedur natürlich nicht ab. Jetzt nahm der Doktor sein etwa 30 cm langes hölzernes Rasiermesser zur Hand und rasierte das Opfer kräftig damit. Ab und zu musste das Messer auf dem Leineweberspulenrad geschliffen werden. Nach dem Rasieren, das unter Jubelgeschrei der Umstehenden vorgenommen wurde, musste der „Junge“ in den Spiegel gucken, der von einem Schützen dargestellt wurde, der sich eine Zeitung vor den Allerwertesten hielt. Nach dem Rasieren war l Mark fällig. Neugierige Mädchen hatten ebenfalls mit dem Rasieren zu rechnen, ihr „Schüttenhowesknecht“ zahlte l Mark. Ein kräftiges Frühstück schloss sich an, das von dem eingenommenen Strafgeld und von dem Ertrag des Rasierens beglichen wurde. Am Sonnabend fand kein Tanz statt, die beiden Kapellen hatten einen wohlverdienten Ruhetag. Aber auf dem großen Anger, der dem Festplatz gegenüberlag, sorgten Karussells, Schieß- und Schaubuden für Unterhaltung und Belustigung.

Jetzt der Sonntag! Punkt 8 Uhr war Antreten zur Kirchenparade; Wieder hatten wie immer die Alten den Vortritt. Die Schützen nahmen mit dem Pastor vor der Kirche Aufstellung, und nach dem Einbringen der Fahnen schloss sich der Kirchgang an, an dem sämtliche Bewohner Hammenstedts teilnahmen. Nach dem Festgottesdienst zogen alle zum Festplatz. Jeder hatte seine Dame eingehakt. Hier löste sich der lange Zug auf. Um 2 Uhr begann der Tanz. Wieder wurde militärische Pünktlichkeit verlangt. Beide Feldwebel standen am Eingang zum Platze mit dem gefürchteten Strafbuch und gezücktem Bleistift und strichen 50 Pfennige von den „Bummelanten“ ein. Um 8 Uhr abends fand das Einbringen der Fahnen statt, zu dem jeder Schütze in vorschriftsmäßiger Uniform und mit Gewehr zu erscheinen hatte. Ein kräftiges Abendbrot folgte, und dann wurde das Tanzbein bis nach Mittemacht geschwungen. Mancher „Schoppen Bier“ löschte bei den Männern den Durst, die Damen stärkten sich mit einem „Seuten“(kleinen süßen).

Am Montag, es war ja leider der letzte Festtag, kam es nicht zum Ausmarsch. Aber das gemeinsame Frühstück wartete in den Zelten, es hatte ja in den Tagen wieder Strafgelder gehagelt. Fehlendes Geld brachten die Teilnehmer aus eigener Tasche auf. Von 2 Uhr bis zum Abend spielten die Kapellen manchen Rheinländer, Schottschen (Schottischen) und Walzer. Der Tanz „Siehst de woll, da kimmt’er, große Schritte nümmt’er“ usw. fand hundertstimmig Begleitung. Punkt 12 Uhr war das „Abblasen“. „Dä Schüttenhoff was ute“. – Fünf Tage lang hatten Freude und Frohsinn geherrscht. Noch lange, lange sprach man davon.

  1. Zimmermann, Lehrer i.R.

aus: Aus der Heimat   Nr. 30 vom 26. Juli 1961